Wieland Schmied

 

Die einfachste Sache der Welt

Gedanken zur Kunst von Markus Schaller

 

 Wer sich näher auf die Kunst von Markus Schaller einlässt, der stößt schnell auf drei Leitmotive oder Gestaltungsprinzipien, die seine Arbeit von ihren Anfängen an prägen. Ich möchte diese drei Bedeutungskreise (wie wir sie auch nennen können) im Folgenden beschreiben.

 

 Zum ersten wird das künstlerische Werk von Markus Schaller bestimmt durch eine so ungewöhnliche wie unzeitgemäße Bindung an das Handwerk, und mehr noch, durch eine Bedingtheit durch das Handwerk. Markus Schaller hat sich dem Handwerk rückhaltlos ausgeliefert, sich ihm mit Haut und Haar, wie man sagt, verschrieben. Dieses Handwerk besteht im Umgang mit dem Material, für das er sich schon sehr früh entschieden hatte, dem Metall, und ergibt sich aus seiner Bearbeitung, dem Schmieden.

 

 Die Tradition des Schmiedens, deren Beginn der antike Mythos in die Werkstatt des Hephaistos bzw. Vulcanus verlegt, hat sich im Kern seit Jahrtausenden nicht verändert, unabhängig davon, daß die menschlichen Hilfsmittel zur Bearbeitung des im Feuer erhitzten Eisens beständig verfeinert wurden. Aus Kraft und Masse entstand etwas Neues. Menschliche Energie wurde eingesetzt, um ein gegebenes Material mit den Schlägen eines Instruments, wie dem Hammer, umzuformen und zurechtzubiegen oder mit dem Meißel zu spalten. Dieser Vorgang war grundsätzlich durch keinen anderen zu ersetzen.

 

 Zum zweiten – und gewissermaßen als Konsequenz der Entscheidung für das Metall und das Schmieden – ist Schallers Vorliebe für einfache konstruktive Formen zu nennen. Diese Formen ergeben sich nahezu zwangsläufig aus dem Charakter des Materials und dem Prozess seiner Bearbeitung. Das gilt sowohl für die Formen, die Markus Schaller eindeutig der Figuration zuordnet – und die als menschliche Figur, als Haus, als Kopf eines Hammers in Erscheinung treten (eine einfache Form repräsentiert den Körper oder den Hohlraum, der für ihn geschaffen ist) und solchen, die er – meist aus selbständigen gleichförmigen Einzelteilen – zu rein geometrischen Gebilden (z. B. denen, die er als »Kuben« bezeichnet) zusammenfügt.

 

 Zum dritten kommt noch ein weiteres Element hinzu: Markus Schallers Liebe zur Schrift, zur Verwendung von Wörtern, die Buchstabe für Buchstabe (oft an verborgener Stelle mit Prägebuchstaben oder Prägestempeln aus gehärtetem Stahl)    in das Material eingestanzt werden; dadurch werden seine Werke immer wieder mit zusätzlicher Bedeutung aufgeladen. Vor allem aber versucht uns Markus Schaller hier einen Hinweis auf die Lesbarkeit der Welt zu geben. Die vielen seinen Werken eingeschriebenen Wörter fügen sich, wenn man sie liest, im ganzen zu knappen Gedichten (oder deren Abbreviatur), im einzelnen können sie an Hieroglyphen erinnern, wie wir sie auf antiken Tontafeln oder prähistorischen Steinen finden. Diese den Werken anvertraute Aussage soll dem Betrachter ermöglichen – wenn er die Schriftzeichen einmal gefunden hat – mit den Werken in einen besonderen Dialog zu treten, wie der Künstler zuvor über den Entstehungsprozess hinaus mit seinen Arbeiten einen intimen Dialog geführt hat. Ist das Kunstwerk nicht ein eigenwilliges, eigenbestimmtes Gegenüber, das sein eigenes Recht beanspruchen darf?

 

 Es sind also drei Gesichtspunkte, welche die Arbeit von Markus Schaller maßgeblich bestimmen. Zu diesen drei Punkten oder Stichworten sollen hier noch einige Anmerkungen stehen.

 

 Ad eins. Als Markus Schaller 1988 an der Berliner Hochschule der Künste zu studieren begann (er war schon 1985 nach Berlin gekommen) und bald in die Klasse von Rebecca Horn aufgenommen wurde, ging er von Anfang an bewusst einen anderen Weg als alle, die mit ihm studierten. Das allgemeine Interesse galt den neuen Medien: Video, Computer usw. Schaller aber interessierte das Eisen, bzw. das in seinen verschiedensten Legierungen zu Stahl verwandelte Eisen. Vielleicht aus einer Lust am Archaischen und Primitiven, aus einem Drang anders zu sein als die anderen, sich zu unterscheiden. Vielleicht auch, weil er mit einem Material arbeiten wollte, das ihm Widerstand bot, weil er spürte, daß er diesen Widerstand brauchte. Er wusste von Anfang an: Seine Kunst konnte nur gegen einen Widerstand entstehen. Nur im Widerstand konnte er seine Kraft entwickeln. Er war nicht einer, dem irgendetwas leicht von der Hand ging. Was ihm gelang, das brauchte Zeit, das musste langsam wachsen. Die Künstlerin, die als Professorin seine Klasse führte, Rebecca Horn, ließ ihm seinen Willen – sie hat immer die Studierenden ihren eigenen Weg gehen lassen, hat sie in ihrer Begabung gefördert, sie nicht von ihren jeweiligen Entscheidungen abzubringen versucht.

 

 Das Schmieden ist ein archaisches Handwerk. Seine Übung reicht weit zurück. Es bringt zwei Elemente zusammen, die wir beide als ursprünglich empfinden, einmal das Feuer, zum anderen das Eisen, das in diesem erhitzt wird, bis es in diesem zur Rotglut und weiter zur Weißglut gebracht und damit veränderbar wird, sich biegen und formen, ausdünnen und verdichten, dehnen oder verstärken lässt.

 

 Die Tradition des Schmiedens kulminierte im 20. Jahrhundert noch einmal in Gestalten wie Julio Gonzalez, dem frühen David Smith, in Rudolf Hoflehner und Eduardo Chillida. In der Generation nach Hoflehner und Chillida spielte sie dagegen kaum noch eine Rolle – die Kunst der Moderne setzte generell zunehmend mehr auf das geistige Konzept als auf die Mühe des Machens. Oder die Projekte nahmen so ungeheure Dimensionen an wie bei Richard Serra (oder anderen Amerikanern), in Deutschland etwa bei Alf Lechner, daß nur noch die geballte Kraft riesiger Maschinen die Stahlplatten oder –volumen bändigen konnte. Natürlich sind in dieser Szene auch Ausnahmen zu verzeichnen wie etwa Stephan Balkenhol (der seine Figuren samt Sockel aus einem Holzstamm schnitzt), Franz Bernhard (der Metall und Holz zu figurativ denkbaren Skulpturen verbindet) oder Rudolf Wachter (der sich ganz auf das Material Holz konzentriert), denen man die Position des Außenseiters zubilligte. Von Rudolf Wachter stammt das Wort: »Wenn ich arbeite, muss ich allein sein. Wenn ein Mann neben mir steht, kann ich schon nicht mehr denken«. So hat er nie einen Assistenten oder Helfer neben sich in der Werkstatt geduldet. Jemand, der ihm ständig über die Schulter schauen würde, könnte ihn nur irritieren. Ähnlich geht es Markus Schaller. Auch er muss mit seinem Material allein sein, um sich ganz auf den Arbeitsvorgang zu konzentrieren, um zu spüren, wie weit das Material seinen Formideen zu folgen bereit ist.

 

 Nach 1990 – nach der Wiedervereinigung des durch mehr als vier Jahrzehnte geteilten Deutschlands – wurden viele Betriebe der früheren DDR, die in der einen oder anderen Weise Stahl verarbeitet hatten, »abgewickelt«. Aus ihrer Konkursmasse konnten verschiedene Spezialwerkzeuge, Maschinen und Maschinenteile (aber auch der Rohstoff Eisen in quantitativ gewichtigen Mengen) günstig bezogen werden. Maschinenhallen standen leer und konnten als Werkstatt genutzt werden. Auf einmal fand der, der sich bisher isoliert in einem aussterbenden handwerklichen Beruf betätigt hatte, ideale Arbeitsbedingungen vor und konnte sich in einer Weise entfalten, die er zuvor kaum zu erträumen gewagt hatte. Mit anderen Wort: plötzlich war Markus Schaller, der Außenseiter, ganz in seinem Element, wie der Fisch im Wasser.

 

 Ad zwei. Die Entscheidung für ein bestimmtes Material – das Eisen – und die Art und Weise, wie es zu bearbeiten ist – durch das Schmieden – impliziert auch schon die entstehende Form. Markus Schaller weiß, wie das Material auf seine Eingriffe reagiert, und er weiß, was er mit ihm machen kann und was nicht. Das Material, dem er sich zugewandt hat, spricht zu ihm, spricht von den in ihm angelegten Möglichkeiten.

 

 Bereits das Material legt den Künstler auf große Einfachheit fest. Die einfachen konstruktiven Formen, die für die Arbeit von Markus Schaller kennzeichnend sind, entspringen also gleichermaßen seiner persönlichen Neigung wie den Bedingungen des Materials, das ihm in bestimmter vorgeformter Gestalt zur Hand ist und sich von einem Einzelnen nur innerhalb fester Grenzen bearbeiten lässt.

 

 Markus Schaller verwendet bevorzugt sogenannten Sechskant-Stahl in Stäben von verschiedener Stärke und Länge (seltener Vierkant-Stahl), und zwar meist rostfreien Stahl aus einer Verbindung mit Chrom und Nickel. Diese Stahlstücke sind der Ausgangspunkt seiner Arbeit. Aus ihnen können menschliche Figuren entstehen, wie sie sich auch dazu eignen, sich in komplizierter Ordnung zu dann doch zugleich einfach und verwirrend, irritierend und überzeugend wirkenden geometrischen Gebilden (wie etwa Kuben) zusammenfügen zu lassen.

 

 Die hohe Qualität der Arbeit von Markus Schaller, das eigentlich Künstlerische an ihr ist nun, daß diese aus simpelsten stereotypen Elementen gebauten Figuren oder Konstruktionen durch den Zugriff des Künstlers ihren eigenen, unverwechselbaren Charakter gewinnen und sich sogleich als Werk des Markus Schaller zu erkennen geben. Das gilt sowohl für die – immer aus einem einzigen Stück Metall geformte – menschliche Figur, ob sie nun in einen Kreis gestellt ist (»Am Ende finde ich mich am Anfang wieder«) und die beiden Teile des Stahlrings, die sich nicht ganz zu der nur suggerierten Einheit schließen, durch ihren Schritt zusammenhält, d.h. durch die in Bewegung reproduzierten Beine, oder ob diese Figur ganz für sich allein steht, sitzt, kniet, liegt – wie es auch für die aus vielen gleichförmigen Einzelteilen zusammengesetzten konstruktiven Formen gilt, von denen die von Markus Schaller als »Managed Cube« oder »Chattanooga Cube« (in nicht-rostfreiem Stahl) bezeichneten die eindrucksvollsten sind. Sie existieren in mehreren Fassungen und wurden (in unterschiedlichen Größen) auch in Murano-Glas ausgeführt.

 

 Ich zögere nicht, diese Formfindung, die sich auf scheinbar selbstverständliche Weise aus gleich großen (zur dreidimensionalen Basis eines Schachspiels mit

8 x 8 Feldern geordneten) Vierkant-Stäben ergibt, genial zu nennen. Eindrucksvoll ist auch die parallele Anordnung von 40 Hammerköpfen, die auf ihrer Schmalseite stehen und deren nach oben orientierte frei gebliebene Öffnung (für den nicht eingesetzten Holz-Schaft) dazu verführt, hier einen Durchblick durch diese Welt der Schmiedehämmer zu suchen – um nur diese Arbeit hervorzuheben. Immer wieder überzeugt bei Markus Schaller der scheinbar geringfügige psychische und physische Aufwand, mit dem ihm die entscheidende Verwandlung gelingt und er aus genormtem Material ein Werk von großer Eigenart schafft. Dabei können wir eine künstlerische Ökonomie beobachten, die mit genau dosierter Anstrengung stets aufs neue imponierende Wirkungen hervorruft.

 

 Nicht anders verhält es sich mit den figurativ lesbaren Werken, mit den aus rechteckigen bzw. streng quadratischen Stahlblechen zusammengefügten Häusern (mit Satteldach) oder mit der menschlichen Figur. Ihre Formung aus einem einzigen Sechskant-Stahl scheint die einfachste Sache der Welt. Der Stab wird bis zu Schenkel und Hüfte hinauf gespalten – was zwei Beine ergibt –, im gleichen Sinn werden die Arme gespalten und dann um 180° nach unten gebogen, daß sie von den Schultern herabfallen. Übrig bleibt oben die schmale Kopfform, die organisch exakt zur so entstehenden Figur des Menschen passt.

 

 Ad drei. Markus Schaller sieht seine Werke durch das Hinzutreten des Moments der Schrift »zum Sprechen gebracht«, also zu Dialogpartnern des Künstlers wie des späteren Betrachters geworden. Ich meine, daß sie durch ihre so einfache wie eigenwillige Machart und die durch diese bestimmte Form ohnedies schon solche Dialogpartner sind. Dennoch spielt die Schrift ohne Zweifel im Denken und im Schaffen von Markus Schaller eine unübersehbare Rolle. Er hat mit dem Verfassen von Gedichten und dem Vortrag eigener Texte begonnen, und nicht zufällig wurde seiner Arbeit attestiert, sie vereine in idealer Weise Skulptur und Poesie.

 

 Für Markus Schaller ist die seinen Skulpturen inkorporierte oder eintätowierte Schrift, die Hinzufügung einer auf Zeichen und Hieroglyphen verkürzten Sprache, über die Faszination hinaus zur Obsession geworden. Materie verlangt nach Geist, Eisen nach dem Wort. So steht die Einbeziehung von Schrift in seine Arbeit für Markus Schaller über die knappen Nachrichten hinaus, welche die vor allem den Häusern eingeschriebenen oder eingeprägten Wörter übermitteln, für die grundsätzliche Lesbarkeit der Dinge. Die Welt ist für Markus Schaller in vielen Einzelheiten –wie früher einmal für Joseph Beuys – voll Bedeutung. Wir müssen diese nur wahrnehmen. Aber allzu oft sehen wir an ihr vorbei.

 

 Schließlich sei noch ein Wort gesagt zu den Bildern von Markus Schaller. Wir sollten sie nicht Malerei nennen – ihr Herstellungsprozess verbietet sie so zu bezeichnen. Sie haben auf jeden Fall ihren eigenen Rang und sind künstlerisch vom dreidimensionalen Werk ganz unabhängig, wenngleich sie durch die Wahl des Materials mit diesem verbunden sind. Bei der Arbeit des Bildhauens, beim Schmieden (aber auch beim Prägen der Buchstaben in den erhitzten Metallstab oder das zum Glühen gebrachte Stahlblech) fällt Eisenstaub ab, sogenannter Zunder. Dieser gehört zum Grundstoff, aus dem die Bilder sind. Hinzu kommen die gröberen Eisenspäne. Nicht zuletzt verwendet Markus Schaller zum Herstellen der durchweg streng abstrakten, durch große Flächen gegliederten Bilder Graphit und Kohlenstoff. Zunder, Eisenspäne, Graphit und Kohlenstoff ergeben die dunkle Grundfläche der Bilder, auf die sich dann mit reinem Schwefel gelbe Linien ziehen lassen. Die Leinwände des Markus Schaller führen uns in eine ganz stille Bildwelt. Sie ist schweigsam. Erst in den Assoziationen des Betrachters beginnt sie zu sprechen und uns etwas zu sagen.

 

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