Markus Schaller Künstlerprofil

 

Andrea Pagnes

 

Die Symbolsprache, in der Markus Schaller sich künstlerisch ausdrückt, findet über die emotionale Ergründung geheimnisvoller Tiefen unweigerlich ihr Ende im Sein. Das künstlerische und zivile Credo dieses Dichters und Bildhauers, der eine Kreuzung aus Sprache und Form vollzieht und sich unkonventionell, impulsiv und dennoch tiefsinnig mit der Frage des „Kunstschaffens“ auseinandersetzt, nimmt durch sein Ausformen der Spuren der genetischen Erinnerung, die jeder von uns in sich trägt, Gestalt an. Der künstlerische Schaffensakt als ultimativ befreiendes Moment offenbart sich als existenzielle Lebensnotwendigkeit: Lyrik als kreative Spannung im Dialog mit Realität, Geschichte und der eigenen Lebenserfahrung.

 

So stellt Schaller einen echten Dialog zwischen seinem Selbst und dem Anderen, dem Betrachter seines Werkes her, dem der Künstler sich in gewisser Weise bewusst ausliefert. Obwohl er in seiner Arbeit abwechselnd aus verschiedensten kulturellen Einflüssen und Strukturen schöpft, zeichnen sich Markus’ zeitgenössische Werke durch die bewusste Ablehnung aus, vordefinierte, sterile Modelle zu übernehmen; Modelle, die ihre innere Wertigkeit und Intensität verloren haben und durch ihr prosaisches, blindes Verfolgen eines Ideals, das im Ergebnis eindeutig als „Nicht-Ideal“ bezeichnet werden muss, völlig frei von kommunikativer Spannung sind. Diese Gedankengänge sind der Ausgangspunkt für die stürmische Aussagekraft von Markus Schallers Werk. Sein Ziel ist es, Kargheit durch die lyrische Illusion eines Nicht-Anfangs zu ersetzen, die Gegenwart geradezu „auszublenden“, ja „auszulöschen“, und durch tiefschürfende Analyse jene erste Spur zu finden, die wir als letzten, verborgenen Winkel unserer eigenen Wahrnehmung und unseres Verstandes kennen. Markus’ Arbeiten stellen unter Beweis, dass uns nicht nur eine physische, sondern vielmehr auch eine seelische, emotionale und geistige Realität umgibt.

 

Doch genau diese vom Künstler verfolgte Illusion erstickt zwangsläufig im Keim, wird in dem Moment zerstört, da sie zum Leben erweckt wird. Dies ist die einzige Realität, der ein Kunstwerk sich stellen kann. Daher ist auch das Material, aus dem ein Kunstwerk besteht, nicht ein bloßes Mittel sondern eine Komposition: Es ist die Wirklichkeit, in der der Künstler arbeitet, die ihn umgibt und mit der er sich auseinandersetzt. Durch die Analyse innerer Konflikte und menschlicher Befindlichkeiten findet der Künstler einen Zugang zur Wirklichkeit und versucht, die Momente zu greifen, die besonders emotional, wenn nicht dramatisch, sind.

Der geballten Massivität seiner Stahlplastiken zum Trotz spiegeln diese tief in ihre Substanz eingeschlossene Impressionen und Expressionen wider. Jedem einzelnen Molekül scheint eine unerschöpfliche, gleichmäßige Dynamik innezuwohnen, die in der Lage ist, beinahe grenzenlose Energie freizusetzen – ein spezifisches Merkmal von Kunstwerken, die zur vollen Entfaltung kommen.

 

Noch stärker als dem mutigen Versuch, seine Skulpturen in die schon beinahe anekdotenhafte, alltäglich gewordene Konnivenz  einzufügen, verleihen Schallers Skulpturen dem unendlichen Dialog zwischen den Gegensätzen Ausdruck. Dieser Dialog ermöglicht den Blick auf den Demiurgen, der versucht, die Materie zu beherrschen und zu kontrollieren, sie unter fortwährender Reflexion immer wieder neu zusammenzusetzen und dem Betrachter so vor Augen zu führen, dass eine ethische Revolution, eine „denkbare neue zivile und soziale Weltordnung“ möglich ist, die nirgendwo anders zu finden sei als im Hier und Jetzt, in dem wir alle leben, handeln und existieren. Eine „andere Welt“ als konkretes Abbild einer stets veränderlichen Perfektion, die die allgegenwärtige lähmende, zähe Engstirnigkeit eines intoleranten Kleinbürgertums durchbrechen kann – das sieht Markus Schaller als Aufgabe des Künstlers; sie zu öffnen und durch Subtraktion sichtbar und greifbar zu machen.

 

Markus Schallers Kommunikationsdrang scheint sich über verschiedene Kanäle auszudrücken: Durch die Idealisierung der Ureigenschaften von Materie und die Schaffung von Kunstwerken durch die Umwandlung von Materie in eine Sammlung von Urformen zur Ableitung eigener Erfahrungen kann der Künstler eine besondere ideologische Motivation ziehen – nämlich die, eine unmittelbarere und direktere Verbindung zum Bestehenden aufzubauen und so sowohl die phänomenologischen Widersprüche, als auch die individuellen Widersprüche des einzelnen menschlichen Wesens zu ergründen. Ohne den emotionalen Kraftaufwand, der hinter dem Schaffensakt steht, vernachlässigen zu wollen, muss man in der Tat anmerken, dass selbst das Gedächtnis nur über die Sammlung von Erfahrungen funktioniert. Nur durch die Übersetzung des Wesens in eine Sprache, die so grundlegend und unstrukturiert wie möglich bleiben muss, wird ein „aktiver“ Dialog realisierbar. Allein dieser Dialog ist in der Lage, eine gleichermaßen unkonventionelle wie intensive Kommunikationsdynamik zu beschreiben und in Gang zu setzen, jenseits historischer Präliminarien.

 

Venedig 2004

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